Haitis ungesicherte Freiheit
Liebe Angehörige, Freunde und Bekannte
Liebe Haiti-Familie
Stehen wir doch dazu: Unser Denken und Handeln in diesen herausfordernden Zeiten muss vor Verwirrung und Ratlosigkeit geschützt werden. Aus der Geschichte klingt uns die bittere Wahrheit entgegen, dass unsere Freiheit nicht gesichert ist. Und wir erleben es täglich: Krieg in Europa, im Nahen Osten, Zusammenbruch zerbrechlicher Staatsgebilde in Haiti und in anderen Teilen unserer Welt zeugen davon, wie verletzlich und bedroht sich vermeintlich freie Gesellschaften fühlen müssen. Während überall auf der Welt Krieg und Chaos sich ausbreiten, suchen wir nach Lösungen, nach Verlässlichkeiten, nach Trost und Hilfe, nach vermeintlich gesicherter Freiheit. Dabei wird gerne übersehen, dass der Verursacher des menschlichen Leids ursächlich nicht in politischen Krisen zu suchen ist. Es ist eine geistige Krise, welche den Erdball umfassend im Würgegriff hat.
Am 7. Juli 2021 wurde Jovenel Moïse in Haiti ermordet. Seither lebt die Bevölkerung ohne einen Staatspräsiden-ten, ohne ein funktionierendes Parlament, ohne jegliche staatliche Führung. Recht und Ordnung wird nicht mehr ausgeübt. Das Machtmonopol liegt in den Händen marodierender Banden, welche nur die Sprache von Gewalt, von Mord und Terror verstehen. Leben wird willkürlich ausgelöscht. Niemand in Haiti ist sich seines Lebens heutzutage sicher. Religiöses Denken, welches aus der Tiefe der Vernunft leuchten sollte, ist den derzeitigen Machthabern unbekannt. Haiti erlebt heutzutage die schlimmsten Folgen von ungesicherter Freiheit.
Wie kann sich eine Gesellschaft aus diesen Fesseln verlorener Freiheit befreien?
LEMUEL SWISS stellt bei seiner Arbeit fest, dass sich Menschen vermehrt und ganz verzweifelt an uns klammern. Sie wehren sich gegen das unvermeidliche Versinken im Schlamassel haitianischer Gesetzlosigkeit und politischer Wirren. Sie versuchen auszuhalten, durchzuhalten. Sie hoffen auf bessere Zeiten. «Wem das Wasser bis zum Halse steht, der darf den Kopf nicht hängen lassen», lautet das Fazit eines «bon mot».
Haitis Menschen versuchen es tapfer und vertrauen auf unsere Hilfe. «Wir geben euch Hoffnung am Nähfaden». So beschreiben wir manchmal unsere Aufgabe. Das alles machen wir weiterhin gerne mit Ihrer Hilfe, geschätzte Unterstützerinnen und Unterstützer von LEMUEL SWISS. Aber eine Befreiung aus den Fesseln einer verlorenen Freiheit ist das nicht; es ist Überlebenshilfe in abartigen Zeiten.
Deshalb sei nochmals die Frage erlaubt: Wie kann sich eine Gesellschaft aus diesen Fesseln verlorener Freiheit befreien? Ist es die Religion, welche Antworten auf letzte, brennende, existentielle Fragen gibt?
Im Buch Hiob geht es um das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott in Zeiten tiefster existenzieller Not. Hiob hadert mit seinem Schöpfer, der ihm ein so schweres Schicksal hat zukommen lassen. Er sitzt in Staub und Asche und verliert letztendlich seinen Lebenswillen, nachdem ihm seine Freunde zu erklären versucht haben, dass menschliches Leid als Folge von schuldhaftem Verhalten zu verstehen ist. Hiob gibt mit diesem vernichtenden Urteil sein Hadern auf vor seinem Gott und meint:
Vom Hörensagen hatte ich von DIR gehört. Jetzt aber hat mein Auge DICH gesehen. Darum gebe ich auf und tröste mich im Staub und in der Asche. Hiob 42/5,6.
Hiob führt ein beachtliches Streitgespräch mit Gott auf der Suche nach einem Ausweg aus seiner misslichen Lage. Er ist auf der Suche nach den fundamentalen Lebensgrundlagen Recht und Wahrheit. Dabei zeigt sich sein religiöses Denken als geistiges Bemühen, das aus der Tiefe menschlicher Vernunft kommt. So gelingt es Hiob, im Gespräch mit seinem Gott in letzte Fragen der menschlichen Existenz vorzudringen. Religion und ihr Verhältnis zu einer freien Gesellschaft kann nur existieren, wenn es uns gelingt, die geistige Relevanz der Bibel wiederzuentde- cken. Die Bibel gibt erhabene Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit. Aber wir kennen die Frage nicht mehr, auf die sie antwortet. Wenn wir die Frage nicht wieder finden, besteht keine Hoffnung, dass wir die Bibel verstehen. Die Bibel gibt Antwort auf die Frage: Was fordert Gott vom Menschen? Wir aber lesen das Buch der Bücher stattdessen aus der Haltung: Was fordert der Mensch von Gott?
Die Zeit der Erwartung (Advent) geht über in die Zeit der Erfüllung (Weihnachten). Der Rabbi aus Nazareth hat uns den Schlüssel gegeben zum Öffnen der Türe zu letztendlicher Einsicht. Er lehrte uns, die Wege des HERRN zu halten und zu tun, was recht und richtig ist. Genau so, wie es Abraham schon zugesprochen worden ist in Gen 18/19: Denn ich habe ihn erkoren, dass er seinen Söhnen und seinem Haus gebiete, den Weg des HERRN einzuhalten und Gerechtigkeit und Recht zu üben, damit der HERR über Abraham kommen lasse, was er ihm gesagt hat.
Unter dem Schirm des Höchsten ist der Mensch frei, Gutes zu tun. Er ist nicht frei, Böses zu tun. Der Mensch lebt von der Zuwendung Gottes. Wenn er sich als solcher erkennt und mit Aktionen eigener Zuwendung antwortet, ist er frei.
Können die Banditen Haitis solchem Denken und Tun folgen? Wohl kaum. Aber wir können den Menschen in Haiti helfen, damit sie den geradlinigen Weg nicht verlassen. Wenn man die Lügen begräbt, wird die Wahrheit zum Vorschein kommen und der rechte Weg bleibt gesichert.
Haiti stehen weiterhin schwierige Zeiten bevor. LEMUEL SWISS will deshalb versuchen, das Baugerüst trotz allem aufrecht zu halten. Das eigentliche Bauen müssen die Menschen selber übernehmen. Das Fundament des Vorgehens finden auch sie im christlichen Glauben. Und je nach Baufortschritt muss auch mal zurückgebaut werden, wenn der gerade Weg verlassen wird. Danach ist ein Weiterbauen auf stabiler Grundlage wieder möglich.
A. J. Heschel: Der Ruhm einer freien Gesellschaft liegt darin, dass ich mir bewusst bin, dass nicht nur ich das Recht und die Fähigkeit habe, frei zu sein, sondern dass ich dieses Recht und diese Fähigkeit auch meinem Mitmenschen zugestehe.
Ich wünsche Euch/Ihnen allen eine gesegnete Adventszeit
Reto Lareida
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